"Wir brauchen einen neuen Blick auf Wachstum der Wirtschaft: Neues Wachstum ist ganzheitlich und nicht mehr nur auf den finanziellen Erfolg fokussiert"
In den vergangenen Jahrzehnten waren wir angetrieben von der Vorstellung, dass sich Wachstum und Erfolg ausschließlich in ökonomischen Daten manifestiert. Die Manager haben alles darangesetzt, dass die Unternehmen wirtschaftlich wachsen – mehr Umsatz, mehr Mitarbeiter, mehr Marktanteile, mehr Rendite, das war das Credo. Dies wurde zur Perfektion getrieben, hat die Wirtschaft erfolgreich gemacht und viele Menschen wohlhabend.
WARUM SOLL DAS JETZT NICHT MEHR SO GELTEN?
Vor allem nach dem zweiten Weltkrieg schien es, als sei Wirtschaftswachstum etwas ganz Natürliches. Es war Symbol des Fortschrittes und des steigenden Reichtums. Der Club of Rome prognostizierte zwar schon 1972, dass auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum möglich sei, doch das verhallte ungehört. Was verständlich ist, wenn man bedenkt, dass Wirtschaft von Menschen gemacht wird. Und Menschen sind ja vor allem ein Ergebnis des sozialen Umfeldes. Wenn man von Kindesbeinen an hört und in der Schule und Studium lernt, die Kollegen es in den Firmen vorexerzieren und die Regierungen es permanent postulieren, dass ökonomisches Wachstum die Maxime wirtschaftlichen Handelns ist, dann nimmt man es irgendwann als selbstverständlich hin. Ganz wie die Metapher des Hammers: Wer nur einen Hammer als Werkzeug kennt, für den ist jedes Problem ein Nagel. Auch wenn sich seit der Wirtschaftskrise 2008 das Wachstum deutlich eingebremst hat, haben die meisten Manager immer noch ein Zielkriterium: Wirtschaftswachstum im ökonomischen Sinn.
POSTWACHSTUM IST ANGESAGT?
Vordenker wie Nico Paech, Hartmut Rosa, Harald Welzer und andere, werden nicht müde unterschiedlichste Konzepte einer neuen Postwachstumsökonomie vorzustellen. Allerdings sind die meisten Entwürfe defensiv ausgerichtet und auf Rückzug und Einschränkung ausgerichtet, fördern also eher die Angstkultur. Vorangetrieben wird das Umdenken auch durch eine junge Generation, die andere Werte wie nur Karriere, Status, Besitz, Macht und finanziellen Reichtum für wichtig halten. In diesem Fahrwasser tauchen neue Konzepte wie Sharing Ökonomie, Sozialunternehmertum, Slow Culture, Crowdfunding, Mindfulness usw. immer mehr auf. Die Digitalisierung ermöglicht mit den verschiedensten Technologien vieles. Es steigt aber auch die Zahl der Unternehmen, die die Zeichen der Zeit schon erkannt haben und soziale Verantwortung, nachhaltige Produktion und ökologisches Handeln in den Mittelpunkt ihrer Geschäftspolitik stellen. Auch in Schulen bilden sich immer mehr Initiativen, wie „Schule im Aufbruch“, „Schulen der Zukunft“ mit tollen Beispielen, die eine andere Philosophie und neue Lernkonzepte bereits vorleben. Erst jüngst hat der bekannte Gehirnforscher Gerald Hüther mit seinem neuesten Buch „Würde“ die Bestsellerliste erklommen und eine breit angelegte Diskussion in Gang gesetzt. Alles Zeichen einer aufkeimenden Transformation.
WAS ANSTELLE DES BISHERIGEN WACHSTUMS?
Äußerste Vorsicht ist geboten, wenn wir mit unserem bisher gelernten Mindset das Problem angehen und nur die Vorzeichen ändern – aus Plus-Wachstum wird Minus-Wachstum, also Rückzug statt Fortschritt. Diese Defensivstrategien wären nicht nur ein Denkfehler, sondern würden auch die Angstkultur schüren und zum Reflex führen, dass wir Wachstum auf keinen Fall aufgeben möchten. Vielmehr geht es um etwas grundsätzlich Neues, einem neuen Denken und Handeln. Dafür gibt es keine, auch noch so gut gemeinten vorgefertigten Ratschläge bzw. Konzepte. Wir dürfen uns dies in einer spannenden Diskussion entwerfen und in einem Transformationsprozess gemeinsam gestalten. Die vom Zukunftsinstitut kürzlich veröffentlichte Studie „Next Growth[1]“ bietet hier einige spannende Gedanken. Wachstum sollte aus der Ecke der rein ökonomischen Betrachtung geholt werden und als gesellschaftliche, ökologische und menschliche Dimension gesehen werden. Er sollte nicht als Problem, sondern als Chance für den Beginn einer neuen Ära begriffen werden.
QUALITATIVES WACHSTUM ANSTELLE REIN ÖKONOMISCHEN WACHSTUMS
Zukünftig ist Wachstum etwas Qualitatives, eine Reifung, vor allem im Bewusstsein der Menschen und damit der Gesellschaft und Wirtschaft. Fragen, die für die Menschen wichtiger werden, was ist der Sinn des Lebens, wie können wir unsere Städte und Kommunen lebenswerter gestalten, wie kann ich mich gesellschaftlich engagieren, um nur einige zu nennen, bekommen in dieser Wachstumsdiskussion neue Nahrung. Es bilden sich auch immer mehr Lebensgemeinschaften, in denen Menschen gemeinsam leben, arbeiten, wohnen und ein neues solidarisches Miteinander entwickeln. Diese Pflänzchen, die jetzt aufkeimen zeigen, dass eindimensional ökonomisches Wachstum auf einem Planeten, der wie ein Raumschiff durch das Weltall kreuzt, nicht unendlich möglich sein kann. Aus dem bisherigen quantitativen Wachstumszwang kann eine qualitative Wachstumsspirale werden und das könnte von der Wirtschaft als Chance aufgenommen werden. Das Ergebnis ist eine würdevollere Wirtschaft mit mehr Lebensqualität, Selbstbestimmung und Autonomie, wertschätzende und vertrauensvolle Beziehungen und mehr Sinnhaftigkeit. Die Unternehmen dürfen auch lernen, dass zyklische Prozesse wie in der Natur, Frühling – Sommer – Herbst – Winter, ganz natürlich und normal sind.
Unternehmen sind keine Maschinen – sie funktionieren auch nicht so, das übernehmen ohnedies immer mehr computergesteuerte Anlagen. Daher stellt sich die Frage: Wie erfolgreich würden Unternehmen arbeiten, die auf den Menschen ausgerichtet sind? Dieses neue Wachstum vollzieht sich evolutionär und emergent und läuft zyklisch ab.
ES GEHT UM EINE EHRLICHE ERNEUERUNG VON INNEN HERAUS
Wenn wir wirklich zu einem „next growth“ in den Unternehmen kommen wollen, dann muss das von innen heraus erfolgen und darf keine oberflächliche Kosmetik sein, um noch mehr Gewinn durch die Hintertüre zu machen. Dieses „innen“ beginnt bei den Managern, mit einem offenen, respektvollen und wertschätzenden Mindset und einer Begegnung von Mensch zu Mensch auf Augenhöhe. Es muss mit der innersten Absicht geschehen, die Welt zu einem besseren Planeten zu machen. Dazu kommt ein Verständnis für globale Zusammenhänge und gegenseitigen Abhängigkeiten, einem Herzenswunsch nach einer lebenswerten und humanen Wirtschaftswelt und einem Mut dies auch zu leben. Erfolgreich wird es dann, wenn dies auch in der Unternehmens-DNA verankert wird, d.h. auf allen Ebenen von der Zukunftsausrichtung, über die Leistungserbringung, der agilen Organisationsstruktur, einer werteorientierten Unternehmenskultur, den Kunden ausgerichteten Prozesse und Möglichkeitsräumen für die Menschen. Next growth bedeutet aber auch, dass sich gewohnte Grenzen auflösen, Menschen schliessen sich zu neuen Gemeinschaften zusammen, Unternehmen kollaborieren mit anderen Unternehmen in Netzwerken genauso mit Non-Profit- und sozialen Organisationen.
ZUKUNFTSKOMPETENZ IST DIE FOLGE UND DER NEUE MAßSTAB
Wenn sich der Fokus von der Gewinnmaximierung zur Potenzialentfaltung und Sinnerfüllung verlagert, wenn ein Wertebewusstsein entsteht, sich eine Wir-Kultur entfaltet, Resonanz und Achtsamkeit im Einklang mit einem wertschätzenden Umgang stehen, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Dazu braucht es eine dynamische Organisation, die eine Wissens- und Lernkultur ermöglicht und ökologisch nachhaltige und sinnvolle Produkte bzw. Leistungen erstellt. Dies sind Zutaten, die jedes Unternehmen fit und kompetent die grössten Stürme des Wandels überstehen lässt. Man kann auch sagen sie sind dann Zukunftskompetent.
Comments